Manchmal sieht man im Marketing, wie ganze Branchen in eine Richtung rennen – und übersieht dabei, wo die wirklichen Chancen liegen. In den letzten Monaten war das besonders gut im Hype rund um die AI-Suche zu beobachten. Viele Unternehmen versuchen, sich in ChatGPT, Perplexity oder ähnliche Plattformen hineinzumanövrieren, bevor überhaupt klar ist, welchen Traffic oder welchen geschäftlichen Wert diese Systeme tatsächlich liefern. Doch während alle dieser glänzenden Zukunft hinterherjagen, bleiben heute messbare und weit unterschätzte Potenziale liegen.
YouTube – Der unterschätzte zweite Suchgigant
Aus meiner Erfahrung in SEO-Projekten ist es fast schon absurd, wie stark Unternehmen über Google und ChatGPT reden, während sie YouTube kaum beachten. Dabei ist YouTube praktisch die zweitgrößte Suchmaschine der Welt. Jeden Tag geben Millionen von Menschen dort Suchanfragen ein – und zwar nicht für Unterhaltung allein, sondern für Tutorials, Produktvergleiche, Reviews und Problemlösungen. Trotzdem fließt das Marketingbudget vieler Firmen lieber in „AI Search Experiments“, obwohl die Reichweite von Video-Plattformen um ein Vielfaches höher ist.
Ich erinnere mich gut an ein Unternehmen, das komplett auf Text‑SEO fokussiert war. Es hatte großartige Inhalte, aber nirgends Videoformate. Erst als wir begannen, ihre Themen auf YouTube zu übertragen – kleine How‑To‑Clips, kurze Erklärungen, eine FAQ-Serie – explodierte nicht nur der Traffic, sondern auch die Conversion‑Rate. Menschen sahen Gesichter, hörten Stimmen, bauten Vertrauen auf. Diese Effekte lassen sich aktuell eben realistischer messen als der Einfluss irgendeines Snippets in einer KI‑Antwortbox.
Videos statt Visionen
Viele Marketing‑Teams argumentieren, dass man sich bei der AI‑Suche „rechtzeitig positionieren“ müsse. Das klingt vernünftig, aber aus meiner Sicht ist das ungefähr so, als würde man heute schon eine Filiale auf dem Mars planen, bevor man seine Stadt kennt. Sicher, AI‑Search wird wichtig werden – keine Frage. Doch im Hier und Jetzt entstehen auf YouTube, Instagram oder TikTok echte Kontaktpunkte, echte Communitys, echte Markenbindung.
Was YouTube so spannend macht, ist nicht nur die Reichweite – sondern auch die Nachhaltigkeit. Ein gutes Video kann über Jahre hinweg Zuschauer finden, immer wieder empfohlen werden und Vertrauen aufbauen. Im Gegensatz dazu sind viele AI-Integrationen noch Suchlabore. Daher passt der Rat vieler SEO‑Profis gut: „Geh raus und mach mehr Video. Heute, nicht nächstes Jahr.“ Selbst wenn man klein anfängt, kann es den Marketing-Mix enorm bereichern.
Wo SEO nicht mehr weiterhilft
Das zweite Thema, das mich in letzter Zeit immer wieder beschäftigt, betrifft die Grenzen von SEO. Es gibt diese unausgesprochene Erwartung in manchen Führungsetagen, dass Suchmaschinenoptimierung jede Krise lösen könne – negative Bewertungen, sinkende Verkäufe, Markenprobleme. Doch das ist ein Irrglaube.
Wenn dein Produkt oder Service Schwächen hat, wenn Support nicht funktioniert oder Nutzer auf Social Media regelmäßig Frust ablassen, dann kann keine noch so ausgefeilte Optimierung die Stimmung drehen. SEO ist kein Pflaster für strukturelle Fehler. Ich habe Unternehmen gesehen, die mit zehntausenden Keyword‑Seiten, Blogbeiträgen und Micro‑Landingpages versuchten, von schlechten Bewertungen abzulenken. Am Ende führte das nur zu mehr Misstrauen.
Reputation statt Ranking
Manchmal muss man akzeptieren, dass das eigentliche Problem woanders liegt – im Produkt, im Preismodell oder in der Kommunikation. Gute Sichtbarkeit entsteht letztlich, wenn die Leistung stimmt und Nutzer gern darüber sprechen. Das beeinflusst Ratings, Erwähnungen, sogar KI‑Modelle, die ihre Informationen aus diesen Quellen ziehen. Wenn also ChatGPT oder ein anderer „AI‑Assistent“ deine Marke negativ einsetzt, dann hilft kein Meta‑Tag, sondern ein aufrichtig verbesserter Kundenwert.
Eine Firma, mit der ich gearbeitet habe, wollte einst aggressive AEO‑Strategien (Answer Engine Optimization) implementieren, um bei generativen Antworten häufiger genannt zu werden. Doch parallel häuften sich Supportbeschwerden. Am Ende war die einzig wirksame Maßnahme nicht mehr SEO, sondern Serviceoptimierung – und die hat die Online‑Sichtbarkeit langfristig stärker verbessert als jede technische Maßnahme. Es klingt trivial, doch Markenvertrauen ist die beste SEO‑Strategie.
Fokus verschieben – vom Hype zur Realität
Wenn du im Online‑Marketing arbeitest, ist es wichtig, die Balance zu wahren: Ja, beschäftige dich mit KI‑Trends. Aber verliere nicht aus den Augen, wo dein Publikum heute ist. Menschen sehen, hören und vertrauen Menschen – und das findet auf YouTube, TikTok, Instagram oder Podcasts statt. Diese Kanäle sind nicht nur Traffic‑Quellen, sondern Gesprächsräume. Sie beeinflussen, wie Suchmaschinen und AI‑Modelle deine Marke interpretieren.
Das heißt konkret: Analysiere zunächst, welche Plattformen bereits echten Dialog mit deiner Zielgruppe fördern. Investiere dort mit Struktur und Leidenschaft, bevor du Experimente jagst. Bereite dich parallel darauf vor, wie AI‑Systeme funktionieren – durch saubere Daten, klare Markenbotschaften und transparente Kommunikation. Aber verbrenne keine Budgets, um in einem Ranking sichtbar zu werden, das womöglich morgen gar nicht existiert.
Praktische Takeaways
- Diversifiziere deine Suchstrategie. Suchmaschinen sind nicht mehr nur Google. Wenn du bei YouTube oder Spotify präsent bist, erreichst du Suchende anders – emotionaler, unmittelbarer.
- Priorisiere Qualität über Quantität. Eine gute Videoreihe, die dein Produkt ehrlich erklärt, kann mehr Vertrauen schaffen als hundert Blogartikel mit denselben Keywords.
- Nutze AI als Werkzeug, nicht als Ziel. Verwende KI, um Ideen, Analysen oder Untertitel zu erzeugen – aber nicht als Ersatz für echtes Storytelling oder Nutzerverständnis.
- Sorge für echte Zufriedenheit. Keine technische SEO‑Taktik gleicht negative Nutzererfahrungen aus. Nur, wer ständig Wert liefert, bleibt auch in der KI‑Suche positiv sichtbar.
Ein Gedanke zum Schluss
Vielleicht ist AI‑Search der nächste Riesenschritt im Digital‑Marketing – vielleicht auch nicht. Doch in der Zwischenzeit entscheidet sich Erfolg in der digitalen Sichtbarkeit eher dort, wo Menschen heute aktiv sind: auf Video‑Plattformen, in Communities, bei realen Gesprächen. Wenn du also dein nächstes Marketing‑Jahr planst, frag dich ehrlich: Willst du der Erste im Experimentierfeld der Zukunft sein – oder willst du jetzt schon dort sichtbar werden, wo Milliarden täglich suchen?
Manchmal ist die klügste Zukunftsstrategie, die Gegenwart gut zu meistern.














