In den letzten Monaten hat sich ein unerwarteter Streit zwischen zwei Schwergewichten der WordPress-Welt entfaltet: Automattic und WP Engine. Dabei geht es nicht nur um Markenrechte oder geschäftliche Spannungen – sondern erstaunlicherweise auch um SEO, also Suchmaschinenoptimierung. Der juristische Schlagabtausch hat eine faszinierende Wendung genommen, als Automattic in seiner Gegenklage behauptete, WP Engine würde gezielt durch Suchmaschinenmanipulation vom Markenimage von „WordPress“ profitieren. Bei näherer Betrachtung zeigt sich allerdings, wie sehr diese Argumentation auf einem veralteten Verständnis von SEO beruht.
Der Vorwurf: Übermäßige Nutzung von „WordPress“ als SEO-Taktik
Automattic wirft WP Engine vor, systematisch den Begriff „WordPress“ auf seiner Website zu wiederholen, um in Suchmaschinen besser zu ranken. Laut Klage habe WP Engine ab etwa 2021 die Häufigkeit der Verwendung der Markenbegriffe „WordPress“ und „WooCommerce“ massiv erhöht, was zu einer potenziellen Verwechslungsgefahr führen könne.
Aus meiner Erfahrung wirkt diese Logik fast nostalgisch – als würde sich Automattic noch auf SEO-Grundsätze aus den 2000er Jahren stützen. Damals spielte die Keyworddichte tatsächlich eine messbare Rolle im Ranking. Doch die Zeiten, in denen Google Seiten allein anhand der Häufigkeit bestimmter Begriffe bewertete, sind lange vorbei. Heute zählt der Zusammenhang, die Absicht hinter einem Text und seine semantische Relevanz – nicht, wie oft ein Wort fällt.
Ein Missverständnis der modernen Suchtechnologie
Automattic schreibt wörtlich, Suchmaschinen „berücksichtigen die Anzahl von Begriffsvorkommen bei der Ermittlung der Relevanz einer Seite“. Damit leitet der Konzern ab, WP Engine habe mit wiederholten Markennennungen ein bewusstes SEO-Manöver begonnen. Doch moderne Suchmaschinen wie Google analysieren inzwischen ganze Sinnzusammenhänge. Algorithmen wie BERT oder RankBrain verstehen kontextuelle Bedeutung – sie erkennen, dass Synonyme, verwandte Begriffe und Nutzerintentionen wichtiger sind als platte Wiederholungen eines Keywords.
Wenn Google selbst schreibt, man finde auch relevante Inhalte ohne exakte Wortübereinstimmung, ist das ein direkter Gegenbeweis. Im Übrigen: Wer nach „Managed WordPress Hosting“ sucht, findet auch WordPress.com weit oben in den Ergebnissen – obwohl diese Phrase dort gar nicht vorkommt. Ein Paradebeispiel dafür, wie wenig Gewicht einfache Keywordwiederholung heute trägt.
Die vermeintlichen Beweise: Zahlen, die täuschen
Automattic präsentiert als Beleg eine Grafik, die zeigt, dass WP Engine den Begriff „WordPress“ häufiger nutzt als 18 andere Hostinganbieter zusammen. Das klingt zunächst beeindruckend, wurde aber bei näherem Hinsehen unter recht fragwürdigen Vergleichsbedingungen erstellt. Viele der verglichenen Unternehmen – darunter GoDaddy oder Namecheap – sind primär Domainregistrare oder bieten zahlreiche andere Hostingarten an. Dort finden naturgemäß weniger Erwähnungen von WordPress statt, weil der Fokus gar nicht auf diesem CMS liegt. Es ist ein klassischer Fall, wo Statistik mehr Blendwerk als Beweis ist.
Ein fairer Vergleich müsste ausschließlich Anbieter betreffen, die sich wie WP Engine auf Managed WordPress Hosting spezialisiert haben. Zieht man diese Grenze, verschiebt sich das Bild deutlich. Andere spezialisierte Anbieter wie Kinsta oder Rocket.net nutzen den Begriff sogar häufiger. WP Engine liegt mit 27 Erwähnungen im Mittelfeld – weit entfernt von aggressiver Übernutzung.
Zahlen im Detail
- Rocket.net: 21 Erwähnungen
- WP Engine: 27 Erwähnungen
- Kinsta: 55 Erwähnungen
Selbst große Namen wie SiteGround oder GoDaddy verwenden das Wort in ihren WordPress-Angebotsseiten deutlich öfter. Automattics Argument, WP Engine manipuliere durch „Keyword-Spamming“, verpufft damit völlig. Ironischerweise enthält WordPress.com selbst auf seiner Hostingseite über 60 Nennungen des eigenen Namens.
Wie Suchmaschinenrelevanz tatsächlich entsteht
Relevanz in den Augen von Google entsteht aus einer Vielzahl von Faktoren – technischer Struktur, Nutzerabsicht, Linkprofilen, Ladezeiten, semantischem Kontext, Content-Qualität. Dass die reine Anzahl eines Begriffs noch irgendeine messbare Wirkung hätte, ist unter Fachleuten seit Jahren widerlegt. Die modernen Suchsysteme arbeiten mit maschinellem Lernen, das Inhalte in Beziehung zu Themenfeldern setzt, statt nur nach Begriffshäufigkeit zu zählen.
Wenn Automattic also den Vorwurf erhebt, WP Engine irre die Nutzer durch SEO-Texte, zeigt das eher, wie tief der Graben zwischen rechtlicher und technischer Realität inzwischen ist. Ein Gerichtsstreit um „Keyword stuffing“ wirkt 2025 fast anachronistisch – wie ein Echo aus der Frühzeit des Internets.
Ist die Anschuldigung strategisch motiviert?
Man kann spekulieren, dass es Automattic weniger um SEO als um Markenhoheit geht. Der Begriff „WordPress“ ist mittlerweile so stark mit der gesamten Hostingbranche verwoben, dass jede Kontrolle darüber Macht und Sichtbarkeit im Markt sichert. Ob WP Engine absichtlich Markenverwirrung erzeugt, wird die Justiz entscheiden. Doch das technische Fundament der Klage – dass Suchmaschinen auf Wortzählung reagieren – dürfte kaum Bestand haben.
Interessant ist auch: Automattic selbst profitiert enorm davon, dass unzählige Dritte über „WordPress“ schreiben und den Begriff dominieren. Das Ökosystem lebt von breiter Nutzung – Partnerschaften, Themes, Agenturen. Eine zu restriktive Auslegung könnte die eigene Community beschädigen. Hier prallen juristische Schutzinteressen und das offene Selbstverständnis von WordPress aufeinander.
Ein unglückliches Signal
Für Außenstehende sendet der Prozess ein merkwürdiges Zeichen. Wenn das Unternehmen hinter WordPress öffentlich gegen einen der größten WordPress-Hoster wegen angeblicher SEO-Taktiken vorgeht, schwächt das das Vertrauen in die Einheit der Plattform. Statt gemeinsam für bessere Standards und Suchergebnisse zu sorgen, wählt man den Weg der Klage – mit Argumenten, die in der SEO-Wirklichkeit kaum Relevanz besitzen.
Die Sache mit der Keyword-Dichte
Zum Abschluss ein Blick auf eine objektive Analyse: Tools zur Keyword-Dichte zeigen, dass WP Engine auf der betreffenden Landingpage etwa 1,9 % „WordPress“-Vorkommen hat. Das liegt völlig im unauffälligen Bereich. Als SEO-Berater würde ich sogar sagen: konservativ. Typisch sind 1–3 % je nach Textlänge. Von Überoptimierung kann also keine Rede sein.
Nicht auszuschließen, dass Automattic beim Beweismaterial auf vermeintlich spektakuläre Zahlen gesetzt hat – etwa Gesamtseiten des gesamten Webauftritts gemessen, anstatt nur relevante Unterseiten. Das wirkt rechnerisch aufgebläht und führt zu Fehlinterpretationen, besonders wenn unterschiedliche Unternehmensmodelle (reiner Hoster vs. Pluginanbieter) verglichen werden.
Mein persönliches Fazit
Juristisch mag Automattic mit seinem Markenrecht argumentieren, technisch jedoch basieren die Vorwürfe auf veralteten SEO-Mythen. Dass Suchmaschinen die reine Wortanzahl bewerten, war vielleicht vor der Einführung von semantischer KI noch denkbar – heute ist das schlicht falsch. In der Praxis entscheidet Nutzerintention, inhaltliche Tiefe und strukturelle Qualität darüber, ob eine Seite rankt.
Es bleibt abzuwarten, ob das Gericht sich auf die Details dieser SEO-Debatte einlässt oder die Sache rein markenrechtlich beurteilt. Sollte letzteres passieren, könnten die irreführenden technischen Behauptungen sogar unangetastet bleiben – was wiederum bedauerlich wäre, weil es ein falsches Bild darüber zeichnet, wie moderne Suche funktioniert.
Und ehrlich gesagt: Wenn ein so großes Unternehmen wie Automattic in einer offiziellen Klageschrift SEO auf dem Stand von 2005 beschreibt, ist das fast schon beunruhigend. Vielleicht wäre es Zeit, dass auch große Player ihr Wissen über Suchalgorithmen aktualisieren – bevor sie es vor Gericht bringen.
Am Ende wirkt der Fall weniger wie ein Kampf um SEO-Taktiken, sondern wie ein Machtspiel um Deutungshoheit in der WordPress-Welt. Für uns in der Branche ist er zugleich eine Mahnung: Wer heute über Suchmaschinen spricht, sollte verstehen, dass sie längst mehr lesen, als bloße Wörter zählen.














