Wenn du technische SEO-Audits durchführst, hast du sicher schon unzählige Tools gesehen, die in Sekundenschnelle perfekte Punktzahlen ausspucken. 92 von 100, „grün“ markiert, also alles gut, oder? Leider nein. Google selbst hat kürzlich betont, dass solche Scores zwar bequem sind, aber die Realität einer Website oft verfehlen. Es geht nicht um Zahlen, sondern um Kontext – und darum, zu verstehen, was hinter diesen Metriken steckt.
Warum Google warnt: Punktzahlen sind keine Wahrheit
Viele von uns lassen sich von Tools wie Lighthouse, Ahrefs Audits oder Screaming Frog Scans blenden. Du bekommst eine Zahl, vielleicht sogar einen hübschen grünen Balken, und das fühlt sich an, als hättest du alles im Griff. Doch Google macht klar: Diese automatisierten Bewertungen bilden selten die ganze Wahrheit ab. Sie erfassen Symptome, aber nicht zwingend die Ursachen – und schon gar nicht die geschäftliche Relevanz dahinter.
Das Problem liegt darin, dass solche Scans ohne Verständnis des eigentlichen Website-Kontexts laufen. Ein Online-Shop, ein News-Portal und ein SaaS-Produkt haben völlig unterschiedliche Anforderungen, Strukturen und Prioritäten. Eine automatisierte „Kennzahl“ kann das nicht berücksichtigen.
Martin Splitt aus dem Search Relations Team von Google hat dazu ein Framework vorgestellt, das zeigt, wie SEOs wieder zu einem menschlich getriebenen, kontextsensiblen Audit zurückkehren sollten – weg von der reinen Tool-Gläubigkeit und hin zu echter Analysearbeit.
Ein pragmatischer Drei-Schritte-Ansatz
In seinem Vortrag erklärte Splitt, dass ein solides technisches Audit drei klar definierte Phasen durchlaufen sollte:
- Werkzeuge und Checklisten nutzen, um mögliche Probleme zu identifizieren. Sie sind ein Ausgangspunkt – nicht das Ziel.
- Bericht mit Kontext aufbereiten: Welche der gefundenen Punkte betreffen tatsächlich diese Website und nicht ein theoretisches Ideal?
- Empfehlungen priorisieren nach pragmatischem Nutzen – was bringt messbare Verbesserung für Crawling, Indexierung und Nutzererfahrung?
Die zentrale Botschaft lautet: Erst verstehen, worauf das System gebaut ist, bevor du Tests laufen lässt. Also: welche Technologie steckt dahinter? Ein Headless CMS reagiert anders als ein klassisches WordPress-System, eine SPA (Single Page Application) braucht ganz andere Prioritäten als ein statischer Blog. Diese Grundlagen zu kennen, spart Stunden sinnloser Fehlinterpretation.
Splitts Hinweis, die gefundenen Punkte nach Aufwand und potenziellem Nutzen zu ordnen, klingt banal, ist in der Praxis aber Gold wert. Ein fehlendes „alt“-Attribut ist nicht gleichbedeutend mit einer fehlerhaften robots.txt oder einem falschen Canonical Tag. Manche Fehler sind kosmetisch, andere existenziell.
404-Fehler: Nicht jeder ist ein Problem
Einer der besten Punkte in Splitts Vortrag – und etwas, das jeder SEO verinnerlichen sollte: Eine hohe Zahl an 404-Fehlern ist nicht automatisch ein Alarmzeichen. Wenn du beispielsweise kürzlich viele Inhalte gezielt gelöscht oder umstrukturiert hast, sind zahlreiche 404er normal. Sie zeigen nicht, dass deine Seite „kaputt“ ist, sondern dass sie sich verändert hat.
Nur wenn die Zahl der 404s plötzlich ansteigt, ohne dass du technische oder inhaltliche Änderungen durchgeführt hast, lohnt sich genaue Untersuchung. In solchen Fällen könnte etwas im Routing, in der internen Verlinkung oder in externen Feeds defekt sein. Splitt betont den Unterschied zwischen erklärbaren und unerklärten Anomalien – etwas, das ein Tool allein schlicht nicht erkennt.
Google Search Console liefert in den Crawl-Statistiken oft genug Hinweise, ob die Muster dieser Fehler „normal“ sind oder Hinweise auf technische Ausreißer geben. Doch auch hier gilt: Nur du kannst einschätzen, ob das Verhalten zum aktuellen Content-Management-Prozess passt.
Warum Kontext wichtiger ist als jeder Score
Die meisten SEO-Tools geben dir hübsche Zahlen – Performance 85/100, Accessibility 92 usw. Aber welcher konkrete Wert sagt dir wirklich, ob Google deine Inhalte effizient crawlt? Keiner. Die Zahlen dienen dazu, dir Anhaltspunkte zu geben. Splitt sagte sinngemäß, man solle Tools „nicht blind folgen“. Und genau das erlebe ich regelmäßig: Tools priorisieren falsch, oder sie listen Probleme, die für deine Website-Struktur gar keine Relevanz haben.
Ein Beispiel: hreflang-Tags sind auf einer rein deutschsprachigen Seite irrelevant. Trotzdem warnen Tools vor „fehlenden hreflang-Attributen“. Oder sie bemängeln „fehlende Strukturierte Daten“, obwohl deine Inhalte gar kein Schema benötigen. Das führt häufig zu Fehlentscheidungen, bei denen Teams Zeit auf Nebenschauplätze verschwenden, statt Fundamentales zu optimieren.
Die Kunst besteht darin, diese Hinweise zu interpretieren. Spreche mit Entwicklern, mit Content-Managern, frage: „Ist das wirklich ein Problem oder nur ein Artefakt unserer Tools?“ Gute Audits entstehen nicht aus Reports, sondern aus Gesprächen und Verstehen.
Martin Splitt formulierte es deutlich: „Bitte folge deinen Tools nicht blind. Stelle sicher, dass jedes Resultat Sinn ergibt, ordne es im Gesamtbild ein und priorisiere nach tatsächlichem Einfluss.“ Dieser Rat klingt fast banal – aber wer öfter Audits gesehen hat, bei denen 20 Seiten lange Fehlerlisten ohne Gewichtung abgegeben werden, weiß, warum er nötig ist.
404s, Scores, Crawls – der rote Faden ist Verständnis
Aus meiner eigenen Erfahrung werden Audits häufig als Fleißarbeit behandelt: möglichst viele Punkte abhaken. Dabei geht es eigentlich darum, Barrieren zwischen Suchmaschinen und Inhalten aufzudecken. Alles andere sind Beiprodukte. Tools können Symptome zeigen – doch du musst die Diagnose stellen.
Ich erinnere mich an ein Projekt, bei dem ein Kunde panisch reagierte, weil ein Audit „1.200 404-Fehler“ gefunden hatte. Am Ende stellte sich heraus: Das waren absichtlich entfernte alte Produktseiten, längst aus dem Katalog gestrichen. Die echten Probleme lagen dagegen bei falsch gesetzten kanonischen URLs. Der Unterschied lag einzig darin, ob jemand hinter die Zahlen schaut oder nicht.
Der Wert menschlicher Einschätzung
Der entscheidende Unterschied zwischen einem guten und einem oberflächlichen Audit ist die Fähigkeit, Prioritäten zu erkennen. Eine KI oder ein Tool kann „Fehleranzahl“ zählen, aber nicht verstehen, was die Seite erreichen will. Nur du kannst abschätzen, ob ein gemeldetes Problem tatsächlich Rankingpotenzial bremst oder nur einen kosmetischen Punkt betrifft.
Auch Google selbst hat kein Interesse daran, dass Webmaster blind auf Metriken schauen. Das betonte Splitt ausdrücklich: Technische SEO ist kein Zahlenspiel, sondern ein Verstehensprozess. Tools sind Werkzeuge, keine Orakel.
Warum das Thema wichtiger wird
In einer Zeit, in der automatisierte Site-Audits immer leistungsfähiger werden, droht genau diese Überautomatisierung die Qualität zu drücken. Plattformen versprechen einen kompletten „SEO-Check in 60 Sekunden“. Klingt verführerisch, ist aber gefährlich, wenn Entscheidungen daraus unreflektiert in Maßnahmenpläne überführt werden.
Kontextbasierte Audits brauchen Zeit, Fachwissen und Kommunikation. Gerade bei großen Projekten mit viel Altdaten oder internationalen Strukturen kann ein einzelner falsch interpretierter Score zu monatelanger Arbeit an unwesentlichen Baustellen führen. Genau das versucht Google mit dieser Warnung zu verhindern.
Praktischer Nutzen für dich
Wenn du Audits in Zukunft effizienter gestalten willst, geh so vor:
- Stelle zuerst sicher, dass du das technische Grundgerüst kennst – Hosting, Framework, Rendering, CMS.
- Führe Tool-Scans durch, aber nutze sie als Indikatoren, nicht als Urteil.
- Besprich die Ergebnisse mit Menschen, die den Code oder das CMS täglich anfassen. Nur sie kennen die „Warum“-Antworten hinter vielen Symptomen.
- Bewerte Fehler nach Einfluss auf Indexierung, Crawling und User Experience, nicht nach Häufigkeit.
- Dokumentiere deine Empfehlungen mit Priorität und Aufwandsschätzung – so erkennt das Management, wo Aufwand und Nutzen in Relation stehen.
Das klingt nach zusätzlicher Arbeit, ist aber in Wahrheit effizienzsteigernd. Du verschwendest keine Zeit an irrelevante Korrekturen und gewinnst Vertrauen durch durchdachte, realistische Maßnahmen.
Blick nach vorn
Je stärker Auditing-Plattformen automatisieren, desto wichtiger wird deine Fähigkeit, zu interpretieren. Tools werden besser darin, Pattern zu erkennen, aber sie verstehen den Menschen oder die Marke hinter der Seite nicht. Google bet














