SEO im Wandel: Nischenstrategie ersetzt Klickökonomie

Tom Brigl  –

Veröffentlicht:

10.10.2025,

Letzte Aktualisierung:

10.10.2025
Inhaltsverzeichnis

In den letzten Jahren herrschte in der SEO-Szene ein regelrechtes Durcheinander – zwischen Euphorie über neue Chancen durch KI und Panik angesichts sinkender organischer Reichweiten. Viele fragen sich: Ist die Suchwelt, wie wir sie kennen, bald Geschichte? Oder erleben wir einfach nur den nächsten Evolutionsschritt? Carolyn Shelby, SEO-Veteranin mit 30 Jahren Erfahrung und einer beeindruckenden Liste an Arbeitgebern – von Disney über ESPN bis hin zu Tribune Publishing – hat dazu eine ziemlich klare Meinung. Und sie hat sie in einem Gespräch ausführlich erklärt.

Die Suchwelt im Wandel – aber nicht am Ende

Es gibt derzeit zwei Lager: Die einen glauben, dass Suchmaschinenoptimierung mit dem Aufstieg von KI und großen Sprachmodellen tot ist. Die anderen sehen KI als Werkzeug, das Suchprozesse weiterentwickelt und menschliche Kreativität ergänzt. Carolyn gehört eindeutig zur zweiten Gruppe. Sie sagt, dass KI zwar alles umkrempelt, aber keine Apokalypse verursacht. Vielmehr zwingt sie Marketer dazu, zu hinterfragen, wie sie eigentlich Wert schaffen.

Aus ihrer Sicht erlebt gerade vor allem die alte „Blogging-Ökonomie“ ihren Zusammenbruch. Jahrelang war es ein sicheres Modell, Massen an Inhalten zu veröffentlichen, die über Anzeigen monetarisiert wurden. Heute ist diese Taktik schlicht nicht mehr tragfähig. Wieso? Weil KI-Systeme große Teile dieser Inhalte direkt konsumieren, verarbeiten und weitergeben – ohne dass der ursprüngliche Publisher davon profitiert.

Das Ende der reinen Klick-Ökonomie

„Spin up garbage content sites“, also schnell produzierte Billigseiten mit Anzeigen – das sei kein Geschäftsmodell für die Zukunft, erklärt Carolyn. Wer Inhalte nur erstellt, um Klicks zu erzeugen, wird von KI-basierter Suche oder Plattformen wie ChatGPT, Perplexity oder Gemini schlicht ausgehebelt. Und selbst Google selbst schickt inzwischen deutlich weniger Traffic an viele Newsseiten. KI-Tools beantworten Fragen direkt. Das sorgt für weniger Seitenaufrufe – und damit für ein Loch in vielen Geschäftsmodellen.

Doch Carolyn sieht das nicht nur negativ: „Diejenigen, die Inhalte aus Leidenschaft erstellen, werden weitermachen – nicht für das Geld, sondern aus eigenem Antrieb.“ Für die anderen heißt es: sich neu erfinden. Denn, so sagt sie: Der Strom an Aufmerksamkeit und Geld fließt jetzt dorthin, wo Menschen sich wirklich aufhalten – zu TikTok, YouTube und anderen Plattformen, die Geschichten audiovisuell und persönlich erzählen.

1 % eines riesigen Marktes ist immer noch riesig

Im Gespräch betont Carolyn einen Punkt, der fast schon mathematisch-nüchtern wirkt, aber strategisch sehr klug ist: 1 % Marktanteil in einer globalen KI-gestützten Suchwelt ist gigantisch. „Wenn ich heute die Chance hätte, 1 % aller Anfragen über ChatGPT oder ähnliche Plattformen zu dominieren, würde ich sofort aufspringen“, sagt sie. Diese 1 % bedeuten Milliarden potenzieller Kontakte – und das oft in deutlich weniger gesättigten Nischen.

Das Denken in Nischen ist etwas, das in der SEO-Welt häufig verloren gegangen ist. Jahrzehntelang drehte sich alles um Google, weil dort das große Volumen liegt. Wer aber Bing, You.com, DuckDuckGo oder spezialisierte KI-Suchmaschinen betrachtet, merkt schnell: Dort ist weniger Wettbewerb – und dafür oft eine bessere Conversion-Qualität. Carolyns Haltung ist pragmatisch: lieber kleiner, dafür relevanter.

Google bremst sich selbst – aus Kalkül

Ein besonders spannender Gedanke von ihr: Google könnte sich bewusst zurückhalten. Warum? Wegen der laufenden kartellrechtlichen Verfahren in den USA. „Solange Google beweisen muss, dass es kein Monopol ist, darf es gar nicht zu dominant agieren“, sagt sie. Das klingt paradox, macht aber Sinn: Wenn Google zu aggressiv wäre – etwa durch zu schnelle KI-Integration –, würde es sein eigenes juristisches Risiko vergrößern. Also lässt das Unternehmen bewusst anderen Platz am Markt – vorübergehend.

Dazu kommt ein Punkt, den viele unterschätzen: Googles erfolgreichstes Produkt ist nicht die Suche selbst, sondern der Browser Chrome. Über ihn sammelt Google gigantische Mengen an Verhaltensdaten – ein unschätzbarer Vorteil im KI-Zeitalter. „Wenn man Chrome-Daten wegnehmen würde“, sagt Carolyn, „dann wäre das, als ob man Google den Treibstoff aus dem Motor zieht.“ Aus diesen Daten speist sich praktisch jede Produktverbesserung – von Suchalgorithmen bis hin zu Werbestrategien.

AI Mode – keine Modeerscheinung

Die Integration von KI-Antworten in Google-Suchergebnisse spaltet gerade die SEO-Welt. Viele Nutzer finden die sogenannten AI Overviews irritierend oder schlicht unzuverlässig. Carolyn sieht das anders. Sie glaubt, dass Google diesen Weg nicht mehr zurückgehen wird. „Es ist nur eine Frage der Gewöhnung“, meint sie. Anfangs wirkt es komisch, Fragen in natürlicher Sprache zu stellen und KI-generierte Absatztexte anstelle klassischer Links zu lesen. Doch über Zeit, sagt sie, werden Nutzer ihr Verhalten anpassen – und Google weiß das.

Spannend fand ich ihren persönlichen Moment der Reflexion: „Ich merke selbst, dass ich Google immer noch anders anspreche als ChatGPT. Es fühlt sich komisch an, der Suchmaschine Fragen zu stellen.“ Das unterstreicht, wie stark Nutzergewohnheiten verankert sind. Dennoch wird sich das Verhalten verschieben – so, wie wir uns früher an Suchvorschläge oder Autovervollständigung gewöhnt haben. Google wird Nutzer langsam an diese neue Art von Interaktion gewöhnen – und sukzessive immer mehr personalisierte, KI-basierte Antworten liefern.

Oder, wie sie sagt: „Google wollte immer ein persönlicher Assistent sein – mit KI wird das endlich möglich.“

Was du als SEO jetzt wirklich tun solltest

Einer der zentralen Ratschläge von Carolyn betrifft das, was viele heute vernachlässigen: die technischen Grundlagen. Es geht nicht mehr nur darum, für Google zu optimieren, sondern auch für KI-Systeme, die Inhalte abrufen, verarbeiten und in eigenen Antworten wiederverwenden. Viele dieser Systeme interagieren unterschiedlich mit Webseiten – einige lesen nur sichtbaren Text, andere greifen strukturierte Daten ab. Und manche, wie sie betont, ignorieren Inhalte in ausgeklappten Menüs oder Tabs völlig.

Ihr Rat: „Frag dich, ob Maschinen deine Inhalte überhaupt lesen und sinnvoll interpretieren können. Wenn nicht – ändere es.“ Das mag banal klingen, ist aber tiefgreifend. Technische Barrieren wie JavaScript-basierte Auslieferungen, blockierte Crawling-Pfade oder unzureichende Metadaten können heute bedeuten, dass deine Inhalte von KI-Systemen komplett übersehen werden.

Das, so sagt sie, ist der neue Kern von SEO: „Zugänglichkeit auf Maschinenebene“ – sicherzustellen, dass alles, was du sagen willst, überhaupt auffindbar und verwertbar ist. Wenn man das als SEO nicht versteht, macht man in der neuen Suchära einen entscheidenden Fehler.

Marketing neu denken

Neben der Technik mahnt Carolyn auch, endlich wieder Marketing ganzheitlich zu denken. SEO sei lange zu technisch gedacht worden, fast wie eine Ingenieursdisziplin. Doch im KI-Zeitalter werde der tatsächliche Markenaufbau wieder relevanter: Warum sollte eine Maschine dich zitieren, wenn du keine erkennbare Autorität bist? Vertrauen, Expertise, Reputation – das sind keine Schlagworte mehr, sondern maschinenlesbare Signale.

Für Unternehmen bedeutet das, in Inhalte zu investieren, die echten Mehrwert bieten, klar strukturiert sind und eine nachvollziehbare Urheberschaft zeigen. Strukturiertes Daten-Markup, semantische Klarheit und urheberrechtlich eindeutige Attribution helfen KI-Systemen, Quellen zu erkennen – und das kann künftig über Sichtbarkeit in Zusammenfassungen oder Zitaten entscheiden.

Die Zukunft gehört den Anpassungsfähigen

Was ich an Carolyns Sichtweise bemerkenswert finde: Sie sieht KI nicht als Bedrohung, sondern als Spiegel unserer Branche. Immer, wenn sich Suchtechnologie verändert hat – sei es durch mobile Nutzung, Sprachsuche oder jetzt durch generative KI – gab es Stimmen, die den Untergang prophezeiten. Und doch hat sich SEO jedes Mal neu erfunden. Auch diesmal wird es so sein, meint sie. Nur eben auf einem anderen Spielfeld.

Wer sich jetzt auf technische Exzellenz, authentisches Marketing und strategische Weitsicht konzentriert, wird belohnt. „Wenn du diese Chancen ignorierst, schadest du dir selbst“, fasst Carolyn zusammen. Wer begreift, dass auch ein kleiner Teil eines gigantischen Marktes enormes Potenzial bietet, und wer sein Wissen konsequent auf die Funktionsweise von Maschinen ausrichtet, wird in dieser neuen Phase des Webs nicht nur überleben, sondern wachsen.

Es bleibt, wie sie sagt

Tom Brigl

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