Manchmal denkt man, ein frischer Start mit einer alten Domain sei ein cleverer Trick. Schließlich hat diese Domain ja schon „ein Leben hinter sich“ – Links, Sichtbarkeit, vielleicht sogar eine gewisse Autorität. Doch in der Praxis ist das Thema weitaus komplizierter. Genau darum geht es hier: Warum abgelaufene Domains oft nicht so funktionieren, wie man hofft, und was du beachten solltest, wenn du dich darauf einlässt.
Wie alles begann – die goldenen Jahre abgelaufener Domains
Vor rund 20–25 Jahren war SEO wirklich ein bisschen wie der Wilde Westen. Abgelaufene Domains konnte man nahezu wie Schätze heben. Ein Domainname, der zuvor viele Backlinks angesammelt hatte, brachte im Grunde sein Linkjuice-Erbe mit. Die Google-Toolbar zeigte damals den sichtbaren Pagerank an, also war auf einen Blick klar: „Diese Domain hat Power.“ Kein Wunder, dass SEOs diese Domains aufkauften, neu belebten und Rankings gewonnen haben – teilweise ohne auch nur relevanten Content auf der Seite zu haben.
Es gab sogar einen Trick, der heute fast absurd klingt. Manche Foren setzten beispielhafte Links auf Fantasie-Domains wie „example-site.com“. Wenn jemand diese Domain registrierte, bekam er plötzlich hunderte von eingehenden Links aus Fachforen – und mit ihnen Pagerank. Man musste also nur aufmerksam zuhören, wo Menschen Domains eintippten, und schnell genug beim Registrar sein. So ließen sich Rankingvorteile mit minimalstem Aufwand sichern.
Doch wie so vieles in SEO hielt auch dieser Vorteil nicht ewig. Google hat Anfang der 2000er Jahre einen Schnitt gemacht: Domain-Pagerank-Resets. Sprich, wenn eine Domain auslief und erneut registriert wurde, bekam sie keinen Bonus mehr aus ihrer Vergangenheit. Es war, als drücke man bei Google auf „Reset“ – zurück auf null. Damit war das lukrative Geschäftsmodell, massenhaft abgelaufene Adressen zu horten, zumindest in seiner einfachen Form vorbei.
Ein aktuelles Praxisbeispiel – wenn die Vergangenheit schwer wiegt
Vor Kurzem schilderte jemand sein Problem in einem SEO-Forum: Er hatte eine alte Domain wiederbelebt, sie befüllt, indexieren lassen. Technisch schien alles sauber: Sitemap eingereicht, keine Fehler in der Search Console, saubere robots.txt. Dennoch passierte etwas Ungewöhnliches – die Seite erschien nicht für ihre eigene Marke im Google-Index. Selbst wenn er nach seiner Firma suchte, tauchte die Domain nicht auf. Das ist ein Signal, bei dem man hellhörig wird, denn eigentlich sollte die eigene Marke nahezu sofort sichtbar sein.
Der Haken: Die Domain gehörte früher einer anderen Firma mit demselben Namen, die pleiteging. Im Netz fanden sich noch alte Foreneinträge und Produktlisten, die auf diese Firma verwiesen. Die Frage war also: Hängt die neue Seite im Schatten der alten Identität fest? Oder schlimmer: Gab es damals einen Penalty, der nun wie ein Stempel auf dem Namen lastet?
Vielleicht hast du selbst schon von solchen Fällen gehört. Es ist fast so, als würde man ein gebrauchtes Auto kaufen, ohne zu wissen, dass es einen Totalschaden hatte. Klar, es fährt – aber im Hintergrund gibt es Altlasten, die man schwer loswird.
Googles Antwort: Geduld und Klarheit
John Mueller von Google nahm zu diesem Problem Stellung. Seine Antwort war typisch nüchtern, fast frustrierend pragmatisch: Er erklärte, eine Domain, die lange geparkt war oder ungenutzt herumlag, benötige schlicht Zeit, um bei Google wieder als aktive, eigenständige Webseite zu gelten. Man könnte es vergleichen mit einem Haus, das jahrelang leerstand: Auch wenn du renovierst, dauert es eine Weile, bis Nachbarn und Postboten wirklich merken – hier wohnt wieder jemand.
Wichtig: Es gibt keine „Reset“-Taste, die du drücken kannst. Kein Formular, keine Abkürzung, kein „Reputation-Flush“. Google selbst verarbeitet diese Änderungen intern automatisch. Dein Job ist es, sauber zu arbeiten und Geduld mitzubringen.
Mueller empfahl zusätzlich, in der Search Console nachzusehen: Gibt es noch alte „URL Removal Requests“? Liegen vielleicht manuelle Maßnahmen vor? Falls ja, könnte darin eine Ursache stecken. Aber in den meisten Fällen ist es nur eine Frage der Zeit.
Was tun, wenn du festhängst?
Die ehrliche Antwort lautet: warten. Doch das ist nicht die einzige Möglichkeit. Was du aktiv tun kannst – und das ist auch ein Tipp für jedes junge Projekt – ist externe Signale aufbauen. Verweise von LinkedIn, Social Media, YouTube, selbst kleinere Erwähnungen in Foren. Denn je mehr es Google erleichtert, deine Domain mit einer aktiven Person oder Organisation in der realen Welt zu verbinden, desto schneller kommt der Durchbruch.
Aus meiner Sicht ist genau das der Knackpunkt: Viele SEOs erwarten, dass Technik allein den Ausschlag gibt – sauberer Code, korrekte Sitemap, schnelle Ladezeiten. All das ist gut und notwendig, aber der Brand-Aufbau geschieht oft außerhalb der eigenen Seite. Google liest diese Signale: Gibt es Leute, die über dich sprechen, dich verlinken, dich erwähnen?
Praktisches Beispiel
Angenommen, du startest mit einer alten Domain neu. Nutze LinkedIn, schreibe einen Beitrag, in dem du erklärst: „Wir relaunchen unsere Marke – hier geht’s zur neuen Seite.“ Verlinke sauber auf dein neues Projekt. Vielleicht hast du ein Video oder Blogpost, den du zusätzlich streust. So entstehen Spuren, die Google unweigerlich aufgreift. Im Idealfall verkürzt das die „Wartezeit“, bis deine Domain sauber in den Index integriert ist.
Die Tücke abgelaufener Domains
Manch einer fragt: „Warum soll ich mir das Theater antun – lohnt es sich überhaupt, eine alte Domain zu kaufen?“ Und da muss man ehrlich sein: Es ist ein Glücksspiel. Wenn die Domain neutral ist, keine schlechten Altlasten mit sich bringt, okay. Aber du kannst praktisch nie sicher sein. Vielleicht gibt es noch alte Penalties, Spamlinks oder schlicht eine Assoziation mit einem früheren Projekt, das bei Google im Negativen vermerkt ist.
Ich habe selbst erlebt, dass neue Seiten auf unproblematischen Domains bisweilen schneller ranken als Projekte, die auf vermeintlich „wertvollen“ alten Adressen gestartet wurden. Der Grund ist simpel: Mit einer komplett neuen Domain startest du unbeschrieben, ohne Altlasten – das macht es manchmal einfacher.
Also: Neuanfang oder warten?
Wenn du sehr viel Herzblut in ein Projekt steckst, überlege genau: Ist die alte Domain so wertvoll, dass es sich lohnt, sie durchzuziehen? Oder ist ein kompletter Neustart die bessere Option? Beides hat Vor- und Nachteile. Mit einer neuen Domain verzichtest du auf potenziell gute alte Links, doch du vermeidest auch das Risiko einer schiefen Historie. Mit einer alten Domain hingegen kann es dauern und anstrengend werden, bis du wieder sauber sichtbar wirst.
Am Ende hängt es auch von deiner Geduld ab. Wenn du sagst: „Ich habe mindestens sechs bis zwölf Monate Zeit, bevor ich große Sichtbarkeit brauche“ – dann halte durch. Wenn du aber schnell Resultate brauchst, und keine speziellen Gründe für genau diese Domain hast, könnte eine frische Domain der bessere Weg sein.
Mein Fazit
Abgelaufene Domains sind kein Wundermittel mehr. Im Gegenteil, sie können dir jede Menge Ärger einbringen. Google erkennt diese Zustände, behandelt Domains mit Reset-Logik und zwingt dich faktisch dazu, Vertrauen erst wieder neu aufzubauen. Das kann dauern. Wichtig ist deshalb: Nutze die Zeit sinnvoll, arbeite an deiner Marke, baue Signale außerhalb deiner Website auf. Denn diese externen Bestätigungen sind es, die Google letztlich von deinem „neuen Leben“ überzeugen.
Und wenn du das nächste Mal ein vermeintliches Schnäppchen unter den abgelaufenen Domains siehst, frage dich: Ist es wirklich ein Schatz – oder nur ein Fass ohne Boden? Manchmal ist die blanke, frische Domain der angenehmere Weg.














