Sichtbarkeit bewahren: Digitalen Markenwert in Fusionen schützen

Tom Brigl  –

Veröffentlicht:

24.11.2025,

Letzte Aktualisierung:

24.11.2025
Inhaltsverzeichnis

Digitale Markenstärke ist Unternehmenswert – wie du in einer Fusion deine Sichtbarkeit nicht verlierst

Wenn zwei Unternehmen verschmelzen, wird häufig vor allem über Finanzen, Prozesse und Markenauftritt gesprochen. Doch der vielleicht wichtigste Wert eines Unternehmens – seine digitale Sichtbarkeit – bleibt dabei oft unbeachtet. Und gerade sie entscheidet heute, ob Kund:innen dich überhaupt noch finden.

Ich habe über die Jahre erlebt, wie viel Kapital in solchen Übergängen vernichtet wird, einfach weil niemand frühzeitig über SEO, Daten oder Website-Migration nachdenkt. Wenn du ein Unternehmen führst, im Marketing arbeitest oder in einen Merger involviert bist, kennst du wahrscheinlich das Spannungsfeld. Einerseits muss schnell integriert werden, andererseits droht der Verlust von allen digitalen Assets, die man über Jahre aufgebaut hat.


Der Kernfehler: Digitale Entwertung statt digitaler Integration

Viele Führungsteams unterschätzen, dass digitale Infrastruktur heute Markeninfrastruktur ist. Sie verwechseln sichtbare Fläche – die Website – mit Marketingdekoration. Doch jede URL, jedes Keyword-Ranking, jeder Backlink, jede Erwähnung in KI-generierten Suchergebnissen ist ein Stück Markenwert. Wenn diese Punkte beim Zusammenschluss gelöscht oder falsch weitergeleitet werden, entsteht das, was ich das „Digital Dilution Effect“ nenne: ein schleichender Verlust von Sichtbarkeit, Vertrauen und Umsatz.

Ich erinnere mich an eine Fusion, bei der ein Mittelständler sein organisches Geschäft durch die Übernahme eines Technologie-Start-ups ausbauen wollte. Nur Wochen später war das komplette Online-Traffic-Volumen verschwunden. Die alte Domain wurde abgeschaltet, die neuen Seiten enthielten kaum Inhalte, die Nutzer:innen wiedererkannten nichts – und Google ebenso wenig. Innerhalb von 30 Tagen war der organische Wert des Start-ups vollständig ausgelöscht.

Das passiert erstaunlich oft, weil das Thema Digitalisierung im M&A-Prozess ein Niemandsland ist: Das Finanzteam prüft Zahlen, das Rechtsteam Risiken, das Marketing denkt an Brand-Design – aber niemand schützt das digitale Kapital.


Was genau passiert bei einem Digital Dilution Effect?

Wenn du zwei digitale Systeme, zwei Marken, zwei Datenwelten zusammenbringst, greifen unzählige technische und inhaltliche Abhängigkeiten. Wird diese Komplexität ignoriert, entsteht ein Dominoeffekt:

  • Traffic-Erosion: Nutzer:innen, die deine alte Marke suchen, landen ins Leere oder auf unpassenden Landingpages.
  • Ranking-Verlust: Google interpretiert fehlende oder fehlerhafte Weiterleitungen als Stillstand oder Tod der Marke.
  • Verlust von Autorität: KI-Systeme, die deine Inhalte bisher als Quelle zitierten, entfernen dich aus ihren Datenmodellen.
  • Datenbruch: Analytics und Conversion-Tracking liefern unvollständige Zahlen; der ROI von Marketingaktivitäten ist nicht mehr messbar.

Das Problem klingt technisch, ist aber in Wahrheit strategisch. Denn jedes Unternehmen, das im Netz sichtbar ist, besitzt etwas, das nicht in der Bilanz steht: digitale Glaubwürdigkeit – das Vertrauen von Suchmaschinen, Plattformen und Nutzer:innen in deine Inhalte.


Warum passiert das immer wieder?

Meist liegt es nicht an Ignoranz, sondern an Struktur. In einem Fusionsprozess drängen viele Kräfte in unterschiedliche Richtungen:

  • Die IT-Abteilung möchte vereinheitlichen – möglichst schnell auf ein System umziehen.
  • Die Rechtsabteilung will Risiken vermeiden und löscht lieber Altbestände.
  • Das Brand-Team konzentriert sich auf das neue Logo und Messaging.

Und SEO? Analytics? Technische Architektur? Oft sitzen sie nicht einmal im M&A-Raum. Dabei entscheiden gerade sie, ob das Unternehmen nach der Fusion weiter sichtbar bleibt oder versinkt.

In internationalen Konstellationen wird es noch komplexer. Unterschiedliche Domains, Sprachen und Märkte erfordern saubere hreflang-Strukturen, konsistente Weiterleitungen und korrekte Implementierung von Schema-Daten. Schon ein fehlendes Tag kann dazu führen, dass Google statt der deutschen Seite plötzlich die französische anzeigt – oder gar keine.

Einmal passiert, ist die Wiederherstellung mühsam. Sichtbarkeit kehrt nicht automatisch zurück, selbst wenn du später alles richtig machst. Suchmaschinen brauchen Wochen oder Monate, um Vertrauen neu aufzubauen.


Ein Praxisbeispiel

Ein Industriekonzern hat ein hochspezialisiertes europäisches Unternehmen übernommen. Das Ziel war, die Expertise global auszurollen. Das kleinere Unternehmen hatte eine exzellente Online-Präsenz – Top-Rankings, technisch saubere Architektur, Inhalte in vier Sprachen.

Nach der Übernahme wurde die Domain sofort auf die Konzernseite umgeleitet. Kein Mapping, kein SEO-Review, kein technisches Konzept.

Ergebnis:

  • Sichtbarkeit – minus 90 %
  • Leads aus organischem Traffic – nahezu null
  • Verlust der Erwähnungen in AI-Snippets und Fachportalen

Monatlicher Wertverlust: geschätzte 4,5 Millionen US-Dollar an potenziellen Leads.

Der Vorstand sprach später von „Synergieeffekten, die länger brauchen“. In Wahrheit hatte man schlicht die digitalen Vermögenswerte gelöscht, für die man ursprünglich bezahlt hatte.


Folgen für das Geschäft

Die unmittelbaren Schäden sind offensichtlich – weniger Leads, sinkende Markenbekanntheit, steigende Marketingkosten. Doch mittel- bis langfristig wirkt der Verlust viel tiefer:

  • Markenverwässerung: Suchende finden Widersprüche – alte Logos, leere Seiten, unklare Botschaften.
  • Vertrauensbruch: Wenn Nutzer:innen auf fehlerhafte Links stoßen, verlieren sie Vertrauen – selbst unbewusst.
  • Datenchaos: Budgets werden falsch verteilt, weil Performance-Daten lückenhaft sind.
  • Investorenzweifel: KPIs stimmen nicht mehr mit den Versprechungen der Integration überein.

Kurz gesagt: Was auf dem Papier wie eine wertsteigernde Fusion aussieht, kostet real digitalen Marktanteil.


Wie du die digitale Substanz schützt

Ich bin überzeugt: Jede Fusion braucht einen Abschnitt im Due-Diligence-Dokument, der sich ausschließlich der digitalen Infrastruktur widmet. Meine Erfahrung zeigt, dass schon wenige gezielte Schritte den größten Schaden verhindern.

1. Erstelle ein digitales Due-Diligence-Workbook

Bevor der Deal geschlossen wird, erstelle ein Verzeichnis aller digitalen Vermögenswerte: Domains, Subdomains, Top-URLs, Backlink-Netzwerke, Tracking-Systeme, Social-Konten, strukturiertes Dateninventar. Ein klarer Überblick verhindert späteres Rätselraten.

2. Analysiere den Sichtbarkeitswert

Bewerte mit SEO-Tools den organischen Traffic, die Rankings und das Backlink-Profil. So kennst du, was wirklich Wert hat. Diese Analyse funktioniert wie eine Inventur – sie zeigt, welches Material du bei der Migration unbedingt schützen musst.

3. Definiere Weiterleitungslogik & Content-Mapping

Jede Seite, die in Zukunft anders heißen wird, braucht eine gezielte permanente Weiterleitung (301). Nielsen hat einmal gemessen, dass fehlerhafte Redirects bei Domains zu bis zu 60 % Sichtbarkeitsverlust führen. Mein Rat: Lass das kein Praktikantenthema sein, sondern ein Managemententscheid.

4. Integriere SEO in die Markenstrategie

Ein Rebranding darf nicht nur ästhetisch geplant werden. Jede Änderung an Namen, Titeln, URL-Struktur oder Metadaten muss mit den Keyword-Strategien abgestimmt sein. Du würdest ja auch nicht dein Logo neu designen, ohne zu prüfen, wie erkennbar es bleibt.

5. Teste und monitor regelmäßig

Nach dem Launch sollten Crawling und Indexierung täglich überwacht werden. Tools wie Search Console, Logfile-Analyse oder Screaming Frog helfen, schnell auf Fehlentwicklungen zu reagieren. Wer nach einer Fusion nur abwartet, riskiert irreversiblen Schaden.


Typische Stolperfallen

  • Zu frühe Umleitung: Wenn du alte Seiten stilllegst, bevor die neuen Inhalte aufgebaut sind, verliert Google die Verbindung.
  • Inkompatible CMS-Systeme: Unterschiedliche Plattformen führen zu technischem Chaos bei URLs, Titeln und Metadaten.
  • Fehlende Inhalte: Die neuen Seiten bieten weniger Tiefe – also ersetzt du 1.000 thematische Unterseiten durch sechs generische.
  • Sprachmischung: Automatische Übersetzungen oder falsche hreflang-Angaben verwirren Crawler und Nutzer:innen gleichermaßen.

Manchmal sind es winzige Fehler – ein vergessener Slash, eine fehlerhafte robots.txt –, die hunderttausende Euro kosten.


Dein digitaler Wiederaufbauplan

Selbst wenn der Schaden bereits eingetreten ist, lässt sich viel retten. Schaue dir diese Schritte an:

  1. Forensische Analyse: Welche URLs haben den meisten Traffic verloren? Welche Weiterleitungen funktionieren nicht?
  2. Keyword-Triage: Identifiziere die zehn wichtigsten Suchbegriffe und stelle sicher, dass sie wieder greif

Tom Brigl

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